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Wolfgang Ullrich

Ewig archaisch. Zu den Werken von Johanna Honisch

Johanna Honisch ist eine Künstlerin, deren Arbeit nicht nur unzeitgemäß ist, sondern die sogar eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit zu erzeugen vermag. Damit erinnert sie an eine Qualität, die für Kunst über Jahrhunderte hinweg ein fragloser Anspruch war, die jedoch in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr ins Hintertreffen geraten ist. Ist Kunst heutzutage also oft ortsspezifisch und reaktionsschnell, damit aber auch von vornherein in ihrem Wirkungskreis eingeschränkt, konzentriert sich Honisch auf Sujets, Materialien und Techniken, die kulturgeschichtliche Konstanten sind. Geflochtene Äste von Weiden, Pfeile, Akanthusblätter – sie alle waren bereits in der Antike geläufig, besaßen Bedeutung im Mittelalter, spielten in den verschiedenen Phasen der Neuzeit eine Rolle. Und mögen sie in der Gegenwart auch eher am Rande allgemeiner Wahrnehmung stehen, so sind sie dennoch nicht überholt oder gar offiziell verabschiedet. Vielmehr kann, was so viel Tradition besitzt und so viel menschliche Erfahrung in sich versammelt hat, jederzeit wieder neu ins Zentrum der Aufmerksamkeit gelangen.

Johanna Honisch beschwört mit ihren Skulpturen diese Tradition und mögliche neue Gegenwart. Indem sie Objekte in Bronze gießt, aus Messing anfertigt oder vergoldet, verwendet sie Materialien, die ihrerseits eine lange Kulturgeschichte besitzen. So viele neue Werkstoffe es mittlerweile geben mag, so wenig sind diese uralten Materialien aber jemals verschwunden. Dass das Uralte zugleich den Charakter des Anfänglichen besitzt, ja archaisch anmutet, wird bei Honisch’ Objekten besonders stark spürbar. Da die Künstlerin sich die Werktechniken jeweils selbst angeeignet hat, statt die Arbeiten in Profi-Werkstätten in Auftrag zu geben, fehlt den Skulpturen die glatte Professionalität einer hochentwickelten Technik. Vielmehr glaubt man, bis ganz tief in die Geschichte zurückblicken zu können, bis zu den Anfängen – die aber bis heute nachwirken und immer wieder neu virulent sind.

Gabriele Baumgartner

Anlässlich der Einzelausstellung in Schloss Puchheim (AT) 2022Time heals all wounds

Der vom französischen Philosophen  Voltaire (1694 – 1778) geprägte Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden | Le temps adoucit tout“ entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem allgegenwärtigen, tröstenden Spruch, der sein Eigenleben, aufgedruckt auf diversen Materialien, ausgesprochen oder abgewandelt in verschiedenen Medien, seinen Widerhall fand und findet. Generationen von Menschen zitierten und zitieren diese Worte, um auf trennende, unbegreifliche und unausweichliche Erlebnisse eines anderen zu reagieren und die Hoffnung auf eine Besserung des Schmerzes zu erwecken.

Die Künstlerin Johanna Honisch thematisiert in ihren Arbeiten die Frage nach dieser Zeit. Aber was ist die Zeit?  Wie entsprechen Metaphern wie diese der Wirklichkeit? Wie konservierten Generationen vor uns den Augenblick? Welche Überlieferungen überdauerten Menschenalter und erzählen immer noch von alten Traditionen, Geschichten und Persönlichkeiten? Wie werden Erinnerungen wach gehalten?

In ihren Arbeiten greift die Künstlerin verschiedene Kulturtraditionen auf und transformiert sie in die Gegenwart zu zeitlosen, immer erinnernden Skulpturen und Objekte, die durch sie im Hier-und-Jetzt verankert, aber noch von der Vergangenheit erzählen und so die Traditionen lebendig erhalten.

2. Marterl

Woher der in Österreich für Bildstöcke gebräuchliche Name „Marterl“ eigentlich rührt, ist in der Forschung weitgehend umstritten. Ist es eine Verniedlichung des Wortes „Marter“ oder auch von „Märtyrer“, die beide schmerzliches Empfinden einer Handlung oder eines Menschen definieren? Oder referiert er auf die Arma-Christi, die Werkzeuge der Marter Christi? Jedenfalls sollte an diesen aufgestellten Bildstöcken an den Menschen, dem dieser Bildstock gewidmet war oder an das zu erinnernde Unglück, gedacht und ein Gebet gesprochen werden. Dieser Jahrhunderte alten Widerspiegelung von Frömmigkeit waren aber bereits die Traditionen von Flurdenkmälern vorausgegangen, die an markanten Wegkreuzungen oder an besonderen Landschaftspunkten in Form von Denkmälern oder auch einfachen Steinen ein Hinweis gesetzt worden war. Auch das Aufstellen der sogenannten Sühnekreuze oder besondere Grenzsteine waren überlieferte Traditionen, die weiterhin im Volksglauben getragen wurden. Jedes einzelne aufgestellte Zeichen innerhalb der Landschaft referiert damit auf ein besonderes Ereignis oder an einen Menschen, dessen gedacht und erinnert werden sollte oder als ein in Dankbarkeit für ein abgewandtes Unglück  errichteter Hinweis, dessen man sich besinnt, sobald man seinen Weg kreuzt.

Diese Form der Erinnerung und des Zeichen griff Johanna Honisch in ihrer 62-teiligen Werkserie der „Marterl“ auf, indem sie real existierende im Kleinformat nachbildete oder sich an Formen orientierte, deren Ästhetik sie ansprach und neue Bildstöcke schuf. Die Reduzierung auf ein ausschließlich weißes Erscheinungsbild und damit eine Loslösung der bildlichen Darstellungen der Marterl, versetzt die kleinen Gedenkstöcke in ein der Zeit befreites Andenken und auch in ein kollektives Gedenken an die Traditionen, die seit jeher Teil der Kulturlandschaft sind.

3. Pfeil

Der als Form der Distanz- und Langwaffe bekannte Pfeil findet sich bereits in Ausgrabungen der Steinzeit und zeigt somit von seiner langen gebräuchlichen Tradition. Dieser von Johanna Honisch in Bronze gegossene Pfeil, der direkt in der Wand sein Ziel findet, ist ein direkter Abguss einer im Mittelalter verwendeten Version empfunden. Dessen Anblick schafft nicht nur den Bezug zur Vergangenheit, sondern visualisiert auch, wie sehr der „Pfeil“ in der heutigen Zeit noch gegenwärtig ist: Hierbei sind nicht nur die sportlichen Pfeil-und-Bogen-Schützen genannt, sondern auch Vereinfachungen seiner Formen als Cursor auf dem Bildschirm des Computers oder als richtungsweisendes Synonym auf Wegschildern. Somit ist die Form des Pfeiles seit jeher ein Abbild für den Begriff „Richtung“ – in der die Feinde sich befinden – sowohl als auch die Richtung, die wir beschreiten wollen oder sollen.

4. Kranz

Wie sehr die Form des Kranzes in der Geschichte der Menschheit ein begleitender Part war und ist, wird bereits seit der Antike gewahr: In Form der Unendlichkeit des Kreises, der weder Anfang noch Ende kennt und somit die Vollkommenheit symbolisiert, wurde vor allem ein mit immergrünem Lorbeer gewundener Kranz als Zeichen des römischen Gottes Jupiters einem Sieger überreicht oder bei den griechischen Olympischen Spielen den Gewinnern verliehen. Verschiedentlich wurde auch Eichenlaub verwendet oder es wurden als symbolistische Erhöhung die pflanzlichen Elemente in Gold ausgeführt.

Der Siegeskranz fand in den weiteren Jahrhunderten verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten und wurde symbolisch aufgeladen aufgrund der Verwendung verschiedenster Pflanzen bzw. wurde auch in der bildenden Kunst in diversen Materialien ausgeführt und in Bau- oder Kunstwerken integriert. In der christlichen Tradition gilt der Kranz weiterhin als ein Zeichen des Sieges. Jedoch bedeutete dies in unseren Tagen ausschließlich den Triumph über den Tod und den Übertritt in die Unendlichkeit und das Ewige Leben. Deshalb wird auf Beerdigungen ein Kranz als Zeichen der Anteilnahme und des Verlustes auf die Grabstätte gelegt.

Ein aus Blumen gewundener Kranz dürfte laut Überlieferungen von jungen germanischen Frauen zu Hochfesten im Haar getragen worden sein und war ein Ausdruck der Freude. Im Mittelalter hatte sich der Brauch weiterhin gefestigt und Menschen trugen Kränze zu verschiedenen Anlässen und Festen. Wobei vielerorts der Kranz im Haar einer Frau als Merkmal ihrer Jungfräulichkeit gedeutet wurde und sich der Brauch des Brautkranzes daraus entwickelte. Unzweifelhaft signalisiert der Kranz auch die Fruchtbarkeit – nicht nur der verheirateten Frau -, sondern auch des Lebens und deshalb war bei vielen Maibräuchen der mit Blättern oder Bändern gewundene Kreis einer der wichtigsten Kennzeichen für ein optimistisches, kommendes Jahr.

Wenn die Künstlerin Johanna Honisch einen mit Pflanzen bestückten Kranz in Gips nachformt, referiert sie auf verschiedenen Ebenen der Tradition und seiner Bedeutung: Aufgrund der Materialität werden die dargestellten Pflanzen vor einem Verfall bewahrt und nicht nur aufgrund der Form des Kreises die Unendlichkeit symbolisierend wieder gegeben, sondern die einzelnen Gewächse sind auch mit Attribuierung behaftet. Der Apfelbaum gilt in der europäischen Tradition als Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit. Jedoch verbindet die christliche Tradition mit diesem Gewächs auch den Verlust des Paradieses, da Eva Adam einen Apfel vom Baum der Erkenntnis reichte und Gott sie deshalb aus dem Garten Eden vertrieb. Eine Verdammnis, die weibliche Schmerzen bei der Geburt eines Kindes und die männliche, karge Arbeit auf hartem Ackerboden zur Folgre hatte und waren deshalb das kontinuierliche Gedenken an den Verlust des Paradieses.

Aufgrund ihrer Symbolik ordnete die Künstlerin die Pflanzen dem  Lebensalter zu und verwendet sie der Reihe nach, um den Zyklus darzustellen.

Die nach Europa importierte Hortensie wird mit Hochachtung und mit Weiblichkeit assoziiert, finden sich doch ihre Blütenfarben überwiegend in verschiedensten Pastelltönen wieder. Als gärtnerisch nicht gerade leicht zu betreuende Pflanze macht ihre Blühfreudigkeit und Standfestigkeit, wenn sie sich auf ihrem Standort zurechtfindet, doch die Mühe wett und prägt in den Sommermonaten mit ihrem Aussehen so manchen Garten. Ihre verblühten Dolden werden erst nach dem Erwachen der Natur entfernt und oftmals zur Dekoration in den Wohnbereich integriert. Aufgrund ihrer zarten Farbigkeit und Blütengröße wird die Hortensie gerne in Blumengestecke und Blumenkränze verwendet und daher ist der Konnex mit Weiblichkeit nicht von ungefähr hergestellt.

Finden sich nun in Johanna Honischs Arbeit Abgüsse dieser Pflanzen, wird der erste Eindruck des Symbols, der Geschichte und Tradition sowie Bedeutung des Kranzes, um eine tieferliegende Ebene bereichert.

5. Akanthus

Sobald der Name „Akanthus“ im Zusammenhang mit Kunst genannt wird, denken die meisten an eine der drei klassischen griechischen Säulenordnungen (dorisch, ionisch, korinthisch), denn die jüngste – die korinthische – war ab dem Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus in Griechenland präsent und charakterisierte sich aufgrund der stilisierten Verwendung der Blätter des stacheligen Akanthus im Kapitell einer Säule als dieser Ordnung zugehörig. Jedoch waren diese griechischen Architekturformen tradierte Überlieferungen und wurden nicht schriftlich festgehalten. Weshalb gerade diese Pflanze gattungsprägend wurde, versuchte zwar der römische Architekturtheoretiker Vitruv  (1. Jahrhundert vor Chr.) mit einer Anekdote zu erklären, doch bleibt diese im Bereich der Legendenbildung und kann keineswegs als tatsächlicher Ausgangspunkt gesehen werden. 

Die stilisierte Verwendung des Blattes fand in den folgenden Jahrhunderten seinen Einsatz in Wandmalereien, Statuen, Buchmalerei und in der Malerei, jedoch mit mehr oder weniger starker Präsenz. In der Epoche des Barock „erlebte“ die Verwendung des  Akanthusblattes einen Höhepunkt, wobei oft auch der Name „Laub“, „Laubwerk“ oder „Blattwerk“ in diesem Zusammenhang fällt. Immer wieder wurde die zuvor stilisierte Pflanze nun als voluminöses Blattgebilde in einer ausladenden Form als Dekorationselement gebraucht. Wobei es sich hierbei nicht um eine reale Verbildlichung der existierenden Pflanze,  sondern eine künstlerische Interpretation einer ansonsten sehr klar auseinanderklaffenden Staude handelte. Johanna Honisch greift diese Tradition der freien Interpretation der Pflanze und die mit ihr verbundene Bedeutung als Ornament auf und erarbeitet eine mit Messing überzogene Gipsskulptur, die in einer Wandecke platziert wird. Damit hinterfragt die Künstlerin auch, weshalb eine Staude, die weder aufgrund einer Heilwirkung noch eines anderen generierten Nutzens  einen Siegeszug durch die Jahrhunderte der Kunstgeschichte vollzog. Dabei hatte eigentlich kaum jemand diese Staude in seiner realen Umgebung mit eigenen Augen gesehen.

Aktuelle Ausstellung

Was ist Zeit?

Herwig Prammer, Jochen Höller, Johanna Honisch

Raumimpuls Stadtgalerie Waidhofen an der Ybbs

Kuratorin Gabriele Baumgartner

11.3.23-9.4.23

https://raumimpuls.at

Eröffnung am Freitag, den 10. März um 19 Uhr

Link Raumimpuls

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1150 Wien

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